Wann du deinen Big Blind verteidigen solltest
Einer der kostspieligsten Fehler, die unerfahrene Spieler oft machen, ist zu tightes Spiel auf dem Big Blind.
Der Sinn der Verteidigung
Ein Call auf dem Big Blind sollte nicht angenehm oder aufregend sein. Er ist eine Zumutung. Bei den meisten Händen ist dein Hauptziel hier, Geld zu verlieren, aber eben weniger Geld zu verlieren, als wenn du vor dem Flop foldest.
Das ist manchen Poker-Einsteigern nicht klar, sodass sie auf dem Big Blind viel zu oft folden. Mit spekulativen Blättern und außer Position Raises zu callen, fühlt sich an wie ein Rezept zum Verlieren, und das ist es auch. Aber manchmal ist es trotzdem die richtige Entscheidung!
Pot Odds und Pot-Anspruch
Zwei Hauptfaktoren bestimmen, ob du mit Callen oder mit Folden weniger Geld verlierst: der Preis, den dich der Call kostet, und ob du langfristig gesehen genug Anspruch auf den Pot hast, um den Call zu rechtfertigen. Den Preis, den das Raise des Gegners bestimmt, und das tote Geld im Pot nennen wir unsere Pot Odds.
Die Pot Odds bestimmen den Anteil des Pots, den wir zurückgewinnen müssen, damit wir beim Call des gegnerischen Raises keine Verluste machen. Wir können diesen Betrag unseren erforderlichen Pot-Anspruch nennen. Die Entscheidung für oder gegen einen Call hängt also genau davon ab, ob wir diesen erforderlichen Pot-Anspruch erreichen – und dabei spielen Faktoren wie Blattstärke, Hand-Spielbarkeit, Könnensvorteil und die Position eine Rolle. Wenn wir mit unserem Blatt den erforderlichen Pot-Anspruch übertreffen, sollten wir callen. Wenn wir darunterliegen, sollten wir folden.
Es ist unmöglich, unseren genauen durchschnittlichen Pot-Anspruch zu berechnen – genauso, wie man nicht berechnen kann, wie viele Reiskörner in einem Reisbeutel sind, wenn man ihn nur anschaut. Es gibt so viele unbekannte Variablen, dass es vergebliche Mühe wäre, den Pot-Anspruch genau ermitteln zu wollen. Statt auszurechnen, welchen Anteil des Pots wir theoretisch zurückbekommen, reicht es aus zu schätzen, ob dieser Wert über oder unter unserem Zielwert liegt.
Beispiel 1: gegen ein Eröffnungs-Raise auf später Position
Angenommen, der Button bringt ein Eröffnungs-Raise auf 2,5 BB und wir sind mit J♦ 8♦ auf dem Big Blind. Der Small Blind foldet und wir sind am Zug. Der erforderliche Pot-Anspruch ist der Anteil des Pots nach dem Call, den wir gewinnen müssten, damit sich der Call lohnt. Der Call kostet uns hier 1,5 BB. Nach dem Call beträgt der Pot 2,5 + 2,5 + 0,5 BB, also 5,5 BB. Damit wir unseren Call-Einsatz zurückbekommen und mit dieser Investition keine Verluste machen, müssen wir theoretisch 1,5 BB vom 5,5-BB-Pot gewinnen. Unser erforderlicher Pot-Anspruch beträgt also 27%. Wenn wir theoretisch auf 27% des Pots Anspruch haben, bieten Callen und Folden vor dem Flop den gleichen Erwartungswert (EV).
Aber wie ermitteln wir, ob Bube-8 uns diesen Anspruch bieten? Gegen eine übliche Button-Range bietet uns das Blatt rund 42% Equity. Aber Vorsicht: Die Equity ist nicht der einzige Faktor, wenn wir außer Position sind. Wir haben also keineswegs Anspruch auf 42% des Pots. Wir haben aber ein Blatt, dass ab und zu sehr starke Blätter floppen und große Pots gewinnen kann. Wir könnten auch ordentliche Paare floppen, mit denen wir weiterspielen können, um mehr von unserer Equity zu realisieren. Insgesamt sollten wir also locker auf 27% des Pots Anspruch haben. Mit einem Call erhalten wir vermutlich 30%+ des Pots zurück – Callen ist also die bessere Option als Folden.
Mit diesen ungefähren Schätzungen kannst du bestimmen, ob du ein Blatt für einen bestimmten Preis verteidigen solltest. Du kannst dir also merken: Die Pot Odds entscheiden, wie viel Pot-Anspruch du brauchst. Die Equity deines Blatts, die Leistung nach dem Flop und deine Position bestimmen, ob du dieses Ziel erfüllst.
Beispiel 2: gegen einen Eröffnungseinsatz auf früher Position
Ob wir unseren Big Blind verteidigen sollten, hängt entscheidend davon ab, wie stark die Eröffnungs-Range ist, gegen die wir spielen. Mal angenommen, wir sehen das gleiche Eröffnungs-Raise vom Spieler Under the Gun und diesmal halten wir A♣ 6♠ . Wir brauchen nur einen Pot-Anspruch von 27%, also können wir hier callen?
Nein. Dieses Blatt schneidet gegen eine tighte Eröffnungs-Range von Under the Gun furchtbar ab. Theoretisch haben wir genug Equity für einen Call, aber Equity ist nicht das einzige, was zählt. Unser Blatt kommt auf 41% Equity gegen eine 19% Eröffnungs-Range. Das Problem ist, dass ein großer Teil dieser Equity von unserem As-hoch abhängt. Im Gegensatz zu Bube-8 suited hat As-6 offsuit große Schwierigkeiten, diese Equity zu realisieren oder uns auf dem Flop irgendwas zu bringen, mit dem wir einen großen Pot gewinnen können. Wenn der Flop beispielsweise Bube-10-4 bringt und jemand setzt, kannst du kaum callen, denn du wärst gegen König-Dame nur geradeso der Favorit. As-6 offsuit verliert also einen großen Teil seiner Equity, weil es auf dem Flop so schlechte Blätter ergibt. Bube-8 suited foldet selten, wenn es das beste Blatt ist, und kann ab und zu riesige Pots gewinnen.
Gegen As-6 offsuit hingegen sprechen auch die sogenannten umgekehrten Implied Odds. Wenn wir das Top Pair floppen, können wir sehr häufig einen großen Pot verlieren.
Durchschnittlich erhalten wir einen sehr niedrigen Anteil dieses Pots zurück, obwohl wir 41% Equity haben. Wir sollten hier also vor dem Flop folden.
In Position – gegen den Small Blind
Wenn wir als Big Blind gegen den Small Blind spielen, sollten wir am breitesten callen. Der Positionsvorteil macht uns das Leben nach dem Flop auf mehrere Weisen leichter.
- Wir können die Equity eher realisieren, weil es profitabler ist, Einsätze in Position zu callen.
- Wir haben bessere Implied Odds, weil wir immer sicherstellen können, dass ein Einsatz fließt, wenn wir es wollen. Außer Position würden wir zum Gegner checken und ihm erlauben, ebenfalls zu checken, sodass der Pot nicht anwächst.
Aus diesen Gründen kann man davon ausgehen, dass die meisten Gegner vor dem Flop höher raisen. Sonst macht man es dem Big Blind zu einfach, seinen Einsatz umfassend zu verteidigen, weil er nach dem Flop als letzter Spieler einen deutlich größeren Pot-Anspruch hat. Die meisten Spieler würden hier auf 3 BB raisen. In dem Fall können wir selbst mit schwachen Blättern wie 9-8 offsuit oder 7-4 suited profitabel callen.
Wenn der Gegner 2,5 BB setzt, sollten wir sehr loose verteidigen und niemals ein Suited-Blatt folden. Das mag für viele Poker-Neulinge ein Schock sein, aber das liegt daran, dass sie sich zu sehr auf ihre Karten und nicht genug auf die Situation konzentrieren. Es ist wie, wenn man Auto fahren lernt. Anfangs ist man ganz damit beschäftigt, was man im Auto macht, und bekommt kaum mit, was um einen rum auf der Straße passiert.
Am Pokertisch gefährden unerfahrene Spieler nur sich selbst, weil sie die situativen Hinweise nicht beachten, die dafür sorgen, dass auch ein Call mit schlechten Blättern manchmal eine gute Idee ist. Ihre Sicht ist verengt, weil ihr Gehirn die Menge an eingehenden Informationen begrenzt, um überhaupt den Durchblick zu behalten. Wenn jemand auf dem Small Blind auf 2 BB raist, würde ich meinen Big Blind mit sämtlichen Startkarten verteidigen. Die Situation ist einfach zu lukrativ, um sie sich entgehen zu lassen, selbst mit Schrott wie 6-4 offsuit.
