Nutze das Tilt deiner Gegner aus

In Teil 1 dieser dreiteiligen Serie haben wir die verschiedenen Formen von Tilt besprochen und uns angeschaut, wie sie sich entwickeln. In Teil 2 haben wir versucht zu schätzen, welche Kosten so ein Tilt verursacht. Außerdem habe ich euch einige Tipps mitgegeben, damit ihr besser mit einem Tilt umgehen könnt. In diesem Teil wollen wir nun überlegen, wie ihr einen Tilt bei eurem Gegner ausnutzen könnt. Wie bereits erwähnt gibt es unterschiedliche Arten von Tilt – die Strategie kann sich also unterscheiden.

Die Moralfrage

Die Frage ist legitim: Wie unmoralisch ist, es auszunutzten, wenn euer Gegner einen Tilt erlebt oder deutlich schlechter spielt, als seine Fähigkeiten es erlauben würden? Es gibt Sit & Go-Spieler, die Heads-up aussetzen, wenn ihr Gegner die Internetverbindung verloren hat. Ich habe einen Freund, der $100 Spin & Gos spielt, und er hat seinem Gegner vier Buy-ins überwiesen, als der wegen technischer Probleme nicht spielen konnte. Diesen Fällen ist gemein, dass die Gegner hier unverschuldet in die missliche Lage gerieten. Ob man solche Situationen ausnutzt oder nicht, muss jeder selber wissen. Ich persönlich würde mich nicht gut dabei fühlen, jemandem Chips abzunehmen, der nichts dagegen tun kann.

 

Wie sieht es bei einem Tilt aus? Meiner Meinung nach ist ein Tilt nicht ohne eigenes Verschulden. Das Gleiche gilt für schlechtes Spielen, weil jemand unter Einfluss von Alkohol oder etwas anderem spielt. Von einem guten Spieler kann man verlangen, die Anzeichen für einen Tilt zu erkennen, und etwas dagegen zu unternehmen – oder falls möglich, das Spiel sofort zu beenden. Gleichermaßen wird niemand gezwungen, nach einer langen Party noch Poker zu spielen. Ich respektiere, wenn das jemand anders sieht, aber meiner Meinung nach ist es nicht unbedingt unmoralisch.

Wenn ein Gegner alle Blätter vor dem Flop spielt

Die häufigste Form von Tilt liegt vor, wenn jemand vor dem Flop in jedem möglichen Blatt Potenzial sieht. In diesem Fall raist der Spieler mit Tilt vermutlich mit einer deutlich größeren Auswahl an Blättern als sinnvoll. Vor allem aber callt er Raises vor dem Flop wesentlich häufiger als sonst. Er achtet auch weniger auf die Höhe von Raises und callt Raises von 4 Big Blinds genauso häufig wie etwa 2,5 BB Raises.

Vorschläge:

  • Wir können unseren Raise-Bereich ebenfalls erweitern, um uns dem größeren Calling-Bereich des Gegners anzupassen.
  • Die Einsatzhöhen steigern.
  • Wir sollten nicht breiter callen – wartet einfach auf die richtigen Karten.

Es kommt sehr selten vor, dass ihr allein gegen einen Spieler antretet, der gerade tiltet. Meistens ist der Tisch voll, manchmal gibt es sogar eine große Warteliste, und das Rennen um die leichten Gewinne geht los. Ihr solltet auch unbedingt beachten, dass die anderen Spieler sich ebenfalls den besten Platz sichern wollen. Ich habe schon mehrfach erlebt, dass ein schwacher Spieler mit Tilt dazu führte, dass sich auch die anderen Spieler am Tisch mit jeder Menge schwacher Blätter bewarfen.

Wenn der Gegner nach dem Flop nicht foldet

In Situationen nach dem Flop ist es etwas einfacher. Typisch für einen Spieler mit Tilt ist, dass er Hände nicht aufgeben will, wenn er auf dem Flop etwas Ordentliches hatte. Die Folge daraus und aus der breiten Blatt-Auswahl vor dem Flop ist, dass er mit folgenden Kombinationen in der Hand bleibt:

  • Das Top-Pair (häufig Asse) mit einem schwachen Kicker
  • Middle- oder Bottom-Pairs
  • Schwache Flush Draws
  • Schwache Straight Draws und Gutshots

Solche Situationen müssen wir normalerweise ausnutzen. Euer Gegner wird dominiert – der optimale Zug ist also, konsistent auf Potmaximierung zu setzen, wenn möglich bei jeder Street. Beachtet dabei auch seine geringen Chancen, das Blatt zu verbessern (3, 4 oder 5 Outs). Sein Blatt kann manchmal sogar Drawing Dead sein – es ist also nicht entscheidend, viel zu setzen, sondern genau den Betrag, den er zu callen bereit ist. Das ist natürlich von Gegner zu Gegner anders. Wenn ihr seht, dass er bereit ist, jeden Einsatz zu callen, könnt ihr also auch in Potgröße setzen.

Wenn der Gegner einen positiven Tilt erlebt

Im vorherigen Teil haben wir bereits über positive Tilts gesprochen. Damit ist nicht gemeint, dass jemand wegen des Tilts gewinnt – ganz im Gegenteil: Er hatte so großen Erfolg, dass er vor lauter Gewinneuphorie die Anzeichen für einen Tilt nicht bemerkt. Er spielt zu viele Blätter, macht zu viele Loose Calls und blufft mit zu hohem Risiko. Es ist klar, dass dieser Spielstil sehr lukrativ sein kann, aber es ist auch klar, dass das nicht lang anhält.

Spieler mit einem positiven Tilt steigen gern mit Raises in den Pot ein, setzen viele Continuation Bets und versuchen, den Tisch zu dominieren. Ich würde euch raten, nicht zu sehr von eurem herkömmlichen Spiel abzuweichen. Es könnte sinnvoll sein, dass ihr immer auf Potmaximierung setzt (wenn ihr das Gefühl habt, das bessere Blatt zu haben). Auch höhere Einsätze können sich lohnen. Spieler mit einem positiven Tilt haben in der Regel viele Chips loszuwerden – in dieser Phase werden wir also oft mit fraglichen Calls überschüttet. Das müssen wir ausnutzen!

Außerdem sind solche Spieler bei mehr Streets bereit, mit schwachen Blättern zu bluffen. Ihr könnt sie also selbst nach dem River mit starken Blättern in die Falle locken. Was ihr tunlichst vermeiden solltet, sind eigene Bluffs. Es bringt nichts, gegen einen Spieler mit Tilt zu bluffen – und bei positiven Tilts gilt das umso mehr. Es ist nicht sehr clever, einen Spieler voller Selbstbewusstsein zu bluffen, der gerade sehr mutig spielt, obwohl er nur Glück hatte.