Standardabweichung – Varianz in Poker
Varianz wird oft mit Glück beziehungsweise Pech gleichgesetzt. Doch die Varianz im Poker hat nicht direkt mit Bad Beats oder Miracle Cards zu tun. Varianz ist vielmehr eine Größe, die angibt, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ereignis von einem zu erwartenden Wert abweicht.
Genaugenommen interessiert uns die Standardabweichung, welches wiederum die Quadratwurzel der Varianz ist. Keine Sorge, dies mag zunächst kompliziert klingen, kann jedoch durch Beispiele sehr leicht erläutert werden.
Varianz einfach erklärt – ein Beispiel
Verabschieden wir uns zunächst von Poker und widmen wir uns der Varianz in anderen Bereichen. Als Beispiel soll uns eine fiktive Erdnussverpackungsfabrik dienen. Eine Maschine befüllt Familienpackungen und in jedem Erdnusspaket sind 10.000 geschälte und gesalzene Erdnüsse.
Zumindest im Schnitt, denn wenn wir uns zehn Stichproben ansehen, so merken wir schnell, dass die einzelnen Tüten unterschiedlich befüllt sind:
Tüte 1: 9.998 (-2)
Tüte 2: 10.007 (+7)
Tüte 3: 9.991 (-9)
Tüte 4: 10.003 (+3)
Tüte 5: 10.005 (+5)
Tüte 6: 9.993 (-7)
Tüte 7: 10.004 (+4)
Tüte 8: 9.994 (-6)
Tüte 9: 9.997 (-3)
Tüte 10: 10.008 (+8)
Um die Varianz auszurechnen, rechnen wir den Durchschnitt der quadrierten Differenzen vom Mittelwert aus. Das bedeutet wir nehmen den durchschnittlichen Wert (10.000), ziehen die einzelnen Stichproben ab und Quadrieren diese Ergebnisse. Danach summieren wir die zehn Werte auf und rechnen den Durchschnitt aus.
Im Einzelnen wären dies (-2)^2 + (+7)^2 + (-9)^2 + (+3)^2 + (+5)^2 + (-7)^2 + (+4)^2 + (-6)^2 + (-3)^2 + (+8)^2.
Als Summe erhalten wir 342. Um den Durchschnitt der quadratischen Abweichungen zu erhalten, teilen wir nun durch 10. Damit ergibt sich als Varianz der Wert 34,2. Zieht man nun die Quadratwurzel, so erhält man als Standardabweichung 5,85 bzw. +/- 5,85 Erdnüsse.
Was bedeutet die Varianz, was sagt mir die Standardabweichung?
Mit der Standardabweichung können wir nun abschätzen, wie viele Erdnüsse in der nächsten Packung sind. Genaugenommen bestimmen wir anhand eines Konfidenzintervalls, mit welcher Wahrscheinlichkeit dies geschieht.
Hierfür gibt es die 68-95-99,7-Regel. Mit einer Wahrscheinlichkeit von rund 68% weicht die nächste Tüte +/- 5,85 Erdnüsse vom Mittelwert (10.000) ab, mit etwa 95% Wahrscheinlichkeit sind es zwei Standardabweichungen (+/- 11,7 Erdnüsse) und mit 99,7% Wahrscheinlichkeit sind es drei Standardabweichungen (+/- 17,54 Erdnüsse).
68,27% zwischen 9.994 und 10.006 Erdnüssen
95,45% zwischen 9.988 und 10.012 Erdnüssen
99,73% zwischen 9.982 und 10.018 Erdnüssen
Standardabweichung in Poker
Doch kommen wir zurück, zur Varianz in Poker. Viele Poker-Hilfsprogramme wie beispielsweise PokerTracker oder Hold’em Manager helfen einem, das eigene Spiel zu analysieren und auszuwerten. Dort kann man sich auch die eigene Varianz beziehungsweise Standardabweichung ansehen. Wie oben beschrieben, benötigt man hierfür die Standardabweichung, welche oft unter „Std Dev“ oder „SD“ (Englisch: Standard Deviation) zu finden ist.
Was bedeutet Varianz in Poker?
Die Standardabweichung und damit die Varianz, hängt vom eigenen Spielstil, dem Format und den Gegnern ab. So gibt es einen riesigen Unterschied, ob man nun an einem No-Limit Hold’em Full Ring Tisch sitzt, vorsichtig spielt und die Gegner alle sehr durchschaubar sind oder ob man Heads-Up Pot-Limit Omaha gegen einen sehr kreativen Gegner spielt.
Bemerkbar macht sich die Varianz, indem man (teilweise deutliche) Abweichungen vom Erwartungswert hat. Nehmen wir erneut ein fiktives Beispiel. Ein Spieler spielt regelmäßig auf NL25 6-Max und kommt auf eine Winrate von 5 BB/100 (Big Bets pro hundert Hände). Er hat eine Standardabweichung von 75 BB/100. Wenn man anhand dieser Werte 100.000 Hände simulieren lässt, so kommen erstaunliche Zahlen zum Vorschein.
Während der Erwartungswert bei 5.000 BB (5BB*100.000/100) oder $2.500 ($0,25x2x5.000) liegt, so schneidet das 95%-Konfidenzintervall am Break Even Point. Dies bedeutet, dass man zwar in 95% aller Fälle einen Gewinn macht, dieser jedoch zwischen 0BB und über 9.700 BB ($4.850) liegen kann. Des weiteren kann es in 2,5% der Fälle sein, dass man noch höheren Gewinn erwirtschaftet oder aber auch einen Verlust einfährt.
Standardabweichung und Poker – ein Fazit
Eine hohe (niedrige) Standardabweichung ist weder gut noch schlecht. Ist die Varianz jedoch niedrig, so wird das nächste Ergebnis – bspw. der Gewinn aus den nächsten 100 Händen – mit hoher Wahrscheinlichkeit näher am Erwartungswert liegen.
Die Zukunft lässt sich jedoch nicht vorherbestimmen, denn ein 100%-Konfidenzintervall lässt sich nicht errechnen. Wenn man jedoch Varianz verstanden hat, kann man seine eigenen Ergebnisse nüchternen betrachten und verkraftet vielleicht auch den ein oder anderen Downswing besser. Varianz sollte jedoch keine Ausrede für schlechtes Spiel sein, so dass man weiterhin an seinem Spiel arbeiten muss.