Independent Chip Model – ICM Deal im Turnier

Nach vielen Stunden am Pokertisch hast du es schließlich an den Finaltisch des Turniers geschafft, in dem du bereits seit Monaten spielst. Du bist müde, doch auch aufgeregt und glücklich, dass du so weit gekommen bist. Gleichzeitig bist du hungrig nach mehr. Auf einmal kommt einer der Spieler am Tisch auf einen Deal zu sprechen. Jemand anderes will die Zahlen sehen. Du bist neugierig geworden und sagst: „Na klar!“ Zu diesem Zeitpunkt erscheint der Host des Turniers am Tisch und legt die ICM-Werte vor. Was nun?

Hier geht es nicht darum, wie du Flops, Turns und Rivers spielst, und auch nicht ums Bluffen, wenn du Schwäche wahrnimmst, oder darum, Value aus starken Händen zu holen. Was hat es mit diesem ICM auf sich? Wie solltest du während eines Deals vorgehen, um den bestmöglichen Value zu erhalten? Das sind alles berechtigte Fragen, die sich jeder irgendwann einmal stellen muss. Ich werde im Folgenden versuchen, diesen Prozess verständlich darzulegen, damit du das Meiste aus einem Deal herausholen kannst!

 

Independent Chip Model

ICM steht für „Independent Chip Model“ und ist der Versuch, den Pokerchips in einem Turnier einen Geldwert zuzuordnen. Dieser Wert ist zwar nicht zu 100% genau, doch ist es die bessere Vorgehensweise, als wenn man von einem linearen Wert der Chips ausgeht.

Bevor ICM verwendet wurde, ging man noch davon aus, dass dein Anteil am Preispool berechnet werden könnte, indem man deinen Chipstack durch die Gesamtzahl der Chips im Turnier teilt und das Ergebnis dann mit den verbleibenden Preisen multipliziert.

Lass uns die verschiedenen Modelle anhand eines Beispiels veranschaulichen: Drei Spieler sind in einem High Roller-Turnier mit einem Preispool von $1.000.000 übrig, in dem nur die ersten beiden Plätze ein Preisgeld auszahlen.

Stacks:
Stack 1 500.000 Chips
Stack 2 450.000 Chips
Stack 3 50.000 Chips

Gewinnauszahlungen:
Platz 1: $700.000
Platz 2: $300.000
Platz 3: $0

Das lineare Modell

Würden wir in diesem Turnier das lineare Modell verwenden, wären die Equitys wie folgt:

Spieler 1: $500.000 ( (500.000/1.000.000) * $1.000.000)
Spieler 2: $450.000 ( (450.000/1.000.000) * $1.000.000)
Spieler 3: $50.000 ( (50.000/1.000.000) * $1.000.000)

Statt sich auf einen Deal zu einigen, spielen die Teilnehmer weiter. Wie wir alle wissen, kann Fortuna sich manchmal launisch zeigen, so hat Spieler 2 Pocket-Asse auf der Hand, als Spieler 1 ihn am Finaltisch in die Enge treiben will. Unglücklicherweise für Spieler 2 werden seine Asse von Pocket-Vieren geschlagen.

Spieler 2 verlässt den Computer unter Tränen, während Spieler 3 Freudensprünge macht und seine Freunde und Familie anruft, um die gute Nachricht mit ihnen zu teilen. Schließlich wird er jetzt mindestens $300.000 gewinnen, denn der zweite Platz ist ihm nun garantiert!

Wir gingen von einer Equity von $50.000 für ihn aus, und nun hat er sich gerade mindestens $300.000 gesichert. Die Verwendung des besagten linearen Modells würde hier nicht sinnvoll erscheinen. Denn er hat noch immer nur 5% der Chips, dennoch sind ihm mindestens 30% des Preispools sicher.

Das Chip-Chop-Modell

Eine schnelle Lösung dieses Problems wäre es, zunächst allen verbleibenden Spielern das Preisgeld für den letzten verbleibenden Platz zu gewähren und den restlichen Teil des Preispools entsprechend ihren Anteilen an der Gesamtzahl der Chips aufzuteilen. Das ist das Chip-Chop-Modell.

Nach dem derben Bad Beat am Finaltisch betragen die verbleibenden Stacks 950.000 und 50.000. Jeder Spieler würde zunächst $300.000 erhalten, da beiden mindestens der zweite Platz garantiert ist. Von den verbleibenden $400.000 würden 95% dem ersten und 5% dem zweiten Spieler gewährt werden. Das bedeutet, dass unter Verwendung des Chip-Chop-Modells Spieler 1 $680.000 und Spieler 2 $320.000 erhalten würde.

Für gewöhnlich ist allen Spielern am Finaltisch schon ein Preisgeld sicher. Das Chip-Chop-Modell wird also jedem der Spieler die nächste Gewinnauszahlung garantieren, zusätzlich zum prozentualen Anteil des verbleibenden Preispools, der ihrem Anteil an Chips entspricht. Hat ein Spieler jedoch die meisten der Chips im Spiel, kann das absurde Szenario eintreten, dass der Chipleader mehr als den ersten Preis des Turniers erhält. Das mag sich verrückt anhören, aber es ist wahr, ich habe ich es schon viele Male beobachten können! Ich habe wirklich keine Ahnung, wie die anderen Spieler dem zustimmen konnten, aber diese Dinge sind in der Vergangenheit schon vorgekommen …

Es gibt noch ein Problem bei diesem System, und zwar, dass die Möglichkeit von All-ins zwischen Big Stacks nicht mitberücksichtigt wird. Dies kann dazu führen, dass die Small Stacks mal eben um ein Preisgeld in der Auszahlungstabelle aufsteigen und ihre Equity enorm zunimmt. Die oben beschriebene Hand, in der Pocket-Asse von den Pocket-Vieren des Chipleaders geschlagen werden, ist ein sehr gutes Beispiel dafür.

Das ICM-Modell

Eine andere Vorgehensweise bei der Berechnung wäre, den ersten Preis der Chance eines Spielers zuzuordnen, das Turnier zu gewinnen, den zweiten Preis der Chance desselben Spielers, den zweiten Platz zu belegen, und den dritten Preis der Chance des Spielers zuzuordnen, den dritten Platz zu erreichen usw. Wenn du all diese Equitys zusammenaddierst, hast du die Turnier-Equity. So wird mit ICM gerechnet.

Es handelt sich hierbei um das Modell, das standardmäßig verwendet wird, wenn bei PokerStars ein Deal angefragt wird. Spieler können immer eine andere Methode zur Preisaufteilung verlangen, aber der erste Vorschlag wird auf ICM basieren. Das ICM-Modell basiert auf der Annahme, dass deine Chance, Erster zu werden, deinem prozentualen Anteil an der Gesamtzahl der Chips im Turnier entspricht, und für die übrigen verbleibenden Plätze wird von dieser Basis aus weitergerechnet.

Es kann ziemlich kompliziert werden, wenn eine Menge Spieler involviert sind! Die damit verbundenen komplexen Gleichungen werden in der Regel von Computern übernommen. Obwohl ICM das beste der oben beschriebenen Modelle ist, tendiert es dazu, Small Stacks überzubewerten. Es lässt darüber hinaus das Spielniveau der verbleibenden Teilnehmer am Tisch außer Acht. ICM berücksichtigt außerdem in keiner Weise das Geschehen in den aufkommenden Händen, wie das Dominieren der Medium und Short Stacks durch den Big Stack am Tisch. ICM ist ein gutes System, um einen Deal herauszuarbeiten, doch es ist nicht perfekt.

Tipps zu Turnier Deals

Wenn du der Big Stack bist

Wenn ich über einen Big Stack am finalen Tisch verfüge, frage ich für gewöhnlich nach einem Chip-Chop, da es Big Stacks besser bewertet und in Extremfällen sogar zu einem höheren Preisgeld führen kann, als der erste Preis einbringen würde. Sollten die anderen Beteiligten Chip-Chop nicht akzeptieren und stattdessen einen ICM-Deal machen wollen, frage ich in der Regel nach mehr als dem, was der ICM-Deal vorsieht, da dieses System den Small Stack etwas überbewertet.

Wenn du ein Medium Stack bist

ICM und Chip-Chop fallen vom Wert her für Medium Stacks tendenziell ähnlich aus. Wenn der Big Stack alle Spieler am Finaltisch in hohem Maß dominiert und du ständig Chips verlierst, wird ein Deal wahrscheinlich in deinem Interesse sein. In diesem Fall wäre es vielleicht sogar nicht falsch, auf etwas Equity zu verzichten. Dies ist umso mehr der Fall, wenn du das Gefühl hast, dass du, gemessen am Spielniveau, den anderen Spielern nicht bedeutend überlegen bist, denn dies wird bei ICM ebenfalls nicht berücksichtigt.

Wenn du der Small Stack bist

ICM bitte!

Abschließende Gedanken

Wie wir aus dem vorherigen Beispiel von ICM in der Praxis schließen können, ist es unheimlich teuer für Big Stacks, alle ihre Chips gegen andere Big Stacks zu verlieren. Als Spieler 2 alle seine Chips gegen Spieler 1 verlor, sank seine Equity von $456.900 bis auf Null herunter. In einigen Extremfällen, für gewöhnlich in Satellites, gibt es sogar einige Situationen, in denen es korrekt wäre, Asse vor dem Flop zu folden statt All-in zu gehen. Eine Gewinnchance von 80% ist zwar gern gesehen, doch die 20%ige Chance zu verlieren kann sich in einigen seltenen Fällen als zu kostspielig erweisen.

Wenn die Preisgelder mit den aufkommenden Plätzen bedeutend in die Höhe schnellen und noch Small Stacks im Spiel sind, die oft vor dir eliminiert werden, solltest du im Allgemeinen solche Konfrontationen vermeiden, die dein eigenes Ausscheiden zur Folge haben könnten. Warte lieber geduldig darauf, dass die Gewinne drastisch zunehmen und du abkassieren kannst.

Wenn es nur einen kleineren Stack gibt, brauchst du dir um ICM für gewöhnlich nicht allzu viel Sorgen zu machen. Versuche einfach, weiter Chips anzuhäufen, um in eine bessere Position zu kommen. Gibt es zwei oder mehr Small Stacks, wird die Angelegenheit jedoch ein wenig komplizierter. In diesem Fall könnte es eine Menge Geld für dich wert sein, wenn einer der Small Stacks eliminiert wird. Es kann auch zu solchen Extremfällen kommen, in denen du nichts machst außer zu folden, bis du nur noch ein bis zwei Big Blinds übrig hast. Das kann dann passieren, wenn die Differenz des Gewinns für den nächsten Platz mehr wert ist als die höhere Turnier-Equity, die dir die potenzielle Verdopplung deines Chipstacks einbringen würde. Ein Grundverständnis all dieser Faktoren ist der Schlüssel für das richtige Pokerspiel am Finaltisch. Diesen Teil der Strategie außen vor zu lassen wird dir möglicherweise ein paar mehr Gewinne einbringen, doch auf lange Sicht wirst du damit mit Sicherheit Geld verlieren!

Bei jeder Verhandlung eines Deals am Finaltisch wirst du mindestens deinen gerechten Anteil des Preispools haben wollen, und zudem, wenn möglich, einen Teil der Equity der anderen Spieler. In der Vergangenheit war ich immer ein Befürworter eines Deals, denn an einen guten Finaltisch kommt man in der Regel erst nach vielen Stunden Spielen, und es fällt mir schwer, so lange konzentriert zu bleiben. Natürlich würde ich das niemals meinen Gegenspielern anvertrauen!

Wäre ich der Chipleader, würde ich alles dransetzen, um mit meinen Chips Druck auf sie auszuüben und sie einzuschüchtern und so meine Verhandlungsposition zu verbessern. Sei höflich, aber zögere nicht, Forderungen zu stellen, wenn du eine Chance siehst, dass die anderen Spieler dir geben, was du willst. Wenn du dich bei der Verhandlung am Finaltisch gut verkaufen kannst, wirst du nicht nur langfristig mehr Geld machen, sondern dich dabei auch noch mit weniger Varianz herumschlagen müssen.