Bluff auf Turn und River
Für einen Poker-Neuling gibt es kaum ein befriedigenderes Gefühl, als erfolgreich einen großen Bluff auf dem River zu machen. Bluffen hat eine Art glamouröses Flair. Zu Beginn bluffen wir vielleicht deshalb, weil wir „eine Schwäche spüren“ oder glauben, dass wir „ein starkes Blatt darstellen können“. Bei unserer Entwicklung als Pokerspieler ist es wichtig, ein Verständnis für die technischen Komponenten eines profitablen Bluffs zu erlangen und herauszufinden, wie wir diese Komponenten in einer Hand erkennen können.
Viele schlechte Bluffs werden funktionieren und viele gute Bluffs werden zu einem Call führen. Doch auf lange Sicht führt es zu einem höheren EV, wenn du die folgenden Faktoren identifizieren kannst, bevor du einen Bluff in Angriff nimmst. Natürlich gibt es einige Spieler, denen ein Fold nicht in den Sinn kommt, während andere wiederum Panik davor haben, jemals mit einer hohen Bet mitzugehen. Die Spielweise dieser Gegner können wir sehr leicht zu unseren Gunsten ausnutzen, indem wir von einer soliden Strategie abweichen. Deshalb werden wir uns in diesem Beitrag nicht weiter mit dieser Art von Spieler beschäftigen. Stattdessen konzentrieren wir uns darauf, zu erkennen, wann ein Bluff sinnvoll ist bei einer Fold Equity in einem unbekannten oder durchschnittlichen Maße.
Erste Komponente – verbesserungsfähige Equity
Verbesserungsfähige Equity bedeutet, ein unfertiges Blatt zu haben, das aufgrund seines Verbesserungspotenzials in den späteren Einsatzrunden Equity bietet. Falls wir auf dem Turn einen Bluff in Erwägung ziehen und dabei von einem unbekannten bzw. durchschnittlichen Maß an Fold Equity ausgehen, dann haben unsere Bluffs in dieser Situation einen wesentlichen höheren EV, wenn wir zwar ein unfertiges Blatt haben, dieses sich jedoch oft genug zu einem Monster-Blatt verbessert – im Vergleich zu einem Blatt, mit dem wir so gut wie keinen Draw haben, wenn wir einen Call kriegen.
Ein Beispiel: Nach unserer C-Bet und einem Call des Villains auf dem Flop liegen auf dem Board T835 ohne Flush Draw. Auf dem Turn täten wir besser daran, mit J9 eine zweite C-Bet zu setzen (Double Barrel) als mit A6. Ersteres bietet uns elf Outs auf dem River, um beim Showdown das Top-Paar zu schlagen. Letzteres bietet uns dafür nur drei Outs und keine Chance, ein besseres Blatt als ein Paar zu besiegen. Wie hoch auch immer unsere Fold Equity in dieser Situation sein mag, es wird doch immer Gelegenheiten geben, bei denen wir einen Call kriegen. Deshalb steht unsere Verbesserungsfähigkeit in direktem Zusammenhang mit unserem EV.
Ein kleines Defizit bei der aktuellen Fold Equity wird mehr als wieder wettgemacht durch die Möglichkeit, einen großen Pot zu gewinnen, wenn wir schließlich eine Straight treffen. Eine Bluff-Bet auf dem Turn in Höhe von 2/3 des Pots beispielsweise müsste nur in 40% aller Fälle funktionieren, um auf plus/minus Null zu kommen – und das sogar dann, wenn gar keine Equity gegeben ist. Mit A6 würden wir aufgrund der drei Outs etwas besser dastehen und vielleicht auch mit 38% Fold Equity auskommen. Mit J9 würden wir jedoch bedeutend besser dastehen. In diesem Fall bräuchten wir fast keine Fold Equity, damit unser Bluff einen positiven EV hat. Das Fazit ist: Selbst, wenn unser Gegenspieler scheinbar Calls mag, ist J9 wahrscheinlich immer noch ein profitabler Semi-Bluff auf diesem Turn.
Lediglich auf dem River ist die Verbesserungsfähigkeit irrelevant für unseren Bluff, da unser Blatt sich hier nicht weiter verbessern kann.
Zweite Komponente – fehlender Showdown Value
Mit zu viel Showdown Value zu bluffen ist ein Fehler, den ich oft bei Anfängern am Beginn ihrer Pokerlaufbahn beobachte. Dies ist deshalb ein so schwerwiegender Fehler, weil es den Zweck eines Bluffs einfach völlig verfehlt. Im Allgemeinen erhöhen wir unseren EV nicht besonders, indem wir den Villain mit einem schlechteren Blatt als unserem zum Fold bringen.
Es gibt manchmal Situationen auf dem Flop oder Turn, wenn wir ein Paar haben und der Villain zwei Overcards, in denen sein Fold unseren EV etwas erhöhen würde, weil er damit die Chance aufgibt, eines seiner sechs Outs zu treffen. Doch ist das ein relativ kleiner Vorteil und in diesem Fall setzen wir eine Bet, um unser Blatt zu schützen (Protection Bet) und nicht, um zu bluffen.
Noch ein Beispiel: Nach einem Call unseres Open Raises vom BU checkt der Villain im BB auf dem Flop AQ4r. Wir haben mit JJ auf der Hand das mittlere Paar und checken hinterher, da eine Bet nicht wirklich attraktiv erscheint. Der Turn bringt eine harmlos aussehende 7 offsuit und der Villain checkt aufs Neue. Ein häufiger Fehler angehender Pokerspieler ist in dieser Situation die folgende Argumentation:
„Er hat zweimal Schwäche gezeigt, also versuche ich, mir mit einer Bet den Pot zu schnappen“ („Stab“ genannt, also quasi ein Angriffsversuch).
Auf die Frage, was genau Sinn und Zweck von diesem sogenannten „Stab“ sein soll, antworten sie:
„Um ihn aus der Hand zu treiben.“
Und wenn ich sie dann frage, mit welchen Blättern wir unseren Gegenspieler hier zum Fold bringen, antworten sie möglicherweise:
„Schwache Blätter, Underpairs, King-hoch oder überhaupt nichts.“
Das ist auch korrekt, denn der Villain wird kaum ein As oder eine Dame niederlegen. Wenn er denn eine dieser Karten auf der Hand hat, haben wir soeben eine Bet verloren, die nicht nötig war. Und genau darin liegt das Problem: Wir bringen ihn nur mit solchen Blättern zu einem Fold, die ihm zwei oder noch weniger Outs geben. Lediglich Kx oder ein Gutshot würden ihm bis zu vier Outs geben und das ist es kaum wert, deshalb eine Protection Bet zu setzen. Ein Angriffsversuch, nur weil der Gegner Schwäche gezeigt hat, ist ein sehr unzureichender, um nicht zu sagen absurder Grund für eine Bet, wie angesichts der klaren Definition eines guten Bluffs deutlich wird:
Ein Bluff ist dann ein guter Bluff, wenn wir für den riskierten Betrag unseren Gegenspieler mit genügend stärkeren Blättern zum Fold bringen.
Dritte Komponente – positive Reduzierung
Manchmal lässt sich die Wahrscheinlichkeit eines Folds einfach nicht abschätzen – schließlich spielen wir gegen völlig fremde Leute über fast die ganze Welt verteilt. In diesem Fall könnten wir uns bei der Auswahl unserer Bluffs darauf stützen, wie hoch die Aussicht auf Verbesserung mit unserem unfertigen Blatt ist. Das Problem dabei ist, dass wir manchmal mit keinem der unfertigen Blätter in unserer Range eine echte Chance auf Verbesserung haben. Nehmen wir beispielsweise an, es kommt zum Duell der Blinds bei einem trockenen Board wie K83r.
Wir sind im SB und der Villain hat sowohl unseren Preflop-Raise als auch unsere C-Bet auf dem Flop mit einem Call erwidert. Auf dem Turn kommt eine Drei offsuit und wir überlegen uns unsere Optionen. Welche Teile unserer Range sind am besten für einen Bluff geeignet – jetzt, wo wir unmöglich einen Draw haben können? Sollten wir also einfach sämtliche unserer wertlosen Blätter aufgeben und nur mit Value-Blättern setzen?
Auf keinen Fall – nur weil wir keinen Flush- oder Straight-Draw haben, ist das noch lange kein Grund für eine solche Fit-or-Fold-Strategie. Der Villain könnte dies leicht zu seinem Vorteil wenden, indem er einfach alle Bluff Catcher in seiner Range niederlegt und auf diese Art dafür sorgt, dass wir nie einen erwähnenswerten Gewinn machen. Um unsere Ranges ausbalancierter und unvorhersehbarer für unsere Gegner zu machen, müssen wir manchmal die richtigen Bluffs finden. Und da wir kaum andere Kriterien zur Differenzierung zwischen völlig wertlosen Blättern haben, kommt hierbei das Konzept „positive Reduzierung“ („Positive Removal“) ins Spiel.
Mit „Reduzierung“ meinen wir, dass die Karten auf unserer Hand bedeuten, dass es bestimmte Blätter gibt, die der Villain schon einmal nicht haben kann. Mit solchen Blättern, die der Villain für einige starke Blätter bräuchte, „blocken“ wir quasi einige seiner möglichen guten Starthände. Daher der Begriff „positive Reduzierung“, denn es wirkt sich zu unseren Gunsten aus. Beim Bluffen verhilft dieses Vorgehen uns zu einer höheren durchschnittlichen Fold Equity. Wir können also mit der richtigen Auswahl unserer Bluffs unsere eigene Fold Equity erhöhen, sogar dann, wenn wir nichts über die Spieltendenzen unseres Gegners wissen.
Eine „negative Reduzierung“ wäre dann gegeben, wenn unsere Karten bedeuten, dass unser Gegner bestimmte schlechte Startkarten nicht haben kann, z.B. das As eines nicht getroffenen Flush Draws auf dem River.
Und jetzt zurück zum Board K833: Nach dem Call unserer C-Bet auf dem Flop sollten wir auf dem Turn manchmal weiter auf Angriff setzen, und zwar hauptsächlich dann, wenn der Faktor „positive Reduzierung“ gegeben ist. Wir wollen erreichen, dass es weniger mögliche Starthände unseres Gegenspielers gibt, mit denen er ein gutes Top-Paar hat. Denn damit wird er so gut wie nie einen Fold machen.
Deshalb wäre ein Bluff in dieser Situation besser mit QJ als mit 76. Mit QJ ist die Wahrscheinlichkeit niedriger, dass er KQ oder KJ auf der Hand hat (positive Reduzierung). 76 hingegen verringert die Wahrscheinlichkeit eines schwachen Underpairs, mit dem ein Fold von ihm sehr gut möglich wäre (negative Reduzierung). Nur weil es keine Equity und keine direkten Hinweise (Reads) auf unseren Gegner gibt, heißt das nicht, dass wir geradlinig spielen müssen (ein weiterer häufiger Anfängerfehler).
Abschließende Gedanken
Bei deiner Entwicklung zum kompetenten Pokerspieler wirst du lernen, dass es beim Bluffen weniger um Spontaneität und Bauchgefühl als vielmehr um Präzision geht. Ein gutes Verständnis der drei Komponenten eines richtigen Bluffs zu erlangen wird dir zu besseren Erfolgschancen bei deinen Bluffs verhelfen. Ein weiterer Effekt wird sein, dass es in deiner Strategie keinen Spielraum für Aggression nur um ihrer selbst willen gibt.