Calling Open Raises
Einer der Fehler, die sich immer wieder negativ auf die Gewinnrate (Win-Rate) von Anfängern auswirken, ist die Tendenz, mit viel zu vielen Open-Raises (einer ersten Erhöhung vor dem Flop) mitzugehen. Im Laufe der Entwicklung eines Spielers vom Anfänger zum Amateur mit einiger Erfahrung und damit von „passive loose“ hin zu „tight aggressive“ kann es passieren, dass er schließlich zu viele dieser Open-Raises mit einem Fold erwidert – was nicht ganz so dramatisch ist, aber dennoch eine genauso verlustbringende Schwachstelle (ein Leak) darstellt. In diesem Beitrag befassen wir uns genauer mit den drei Gründen dafür, mit einem solchen Open mitzugehen. Damit dein Call gerechtfertigt ist, muss einer oder müssen mehrere der folgenden Gründe gegeben sein.
Grund 1 – Dein Blatt sieht gut aus
Das hört sich vielleicht im ersten Moment ein wenig vage an. Lass uns deshalb genauer darauf eingehen:
Du hast ein gutes Blatt. Mit diesem solltest du mit einem Open mitgehen, wenn dein Blatt wahrscheinlich der Opening Range deines Gegenspielers (des Villains) voraus ist, jedoch hinter dessen Range liegt, mit der er mit einer 3-Bet mitgehen würde.
Um dies an einem Praxisbeispiel zu veranschaulichen: Nehmen wir an, du hast in einem 6-Max Cash Game ein verhältnismäßig starkes Blatt, aber noch lange kein Premium-Blatt, wie z.B. KJs, AQo oder 99. Du bist auf dem BU und der Spieler im HJ spielt ein Open-Raise. Vorausgesetzt, dass der Spieler im HJ nicht einfach wild drauf los spielt, könnte seine Opening Range irgendwo zwischen 18% und 24% seiner Starthände liegen.
Der Gedanke ist folgender: Wenn wir eine 3-Bet setzen, schrumpft seine Range, sodass unser Blatt im Vergleich dazu nicht mehr so gut aussieht. Wir kassieren zwar den bereits vorhandenen Pot (das „Dead Money“), wenn der Gegner unsere 3-Bet mit einem Fold erwidert, doch das wird er nur mit dem unteren Ende seiner Range tun. Und es wäre uns lieber gewesen, mit unserem Positionsvorteil gegen diesen Teil seiner Range weiterzuspielen.
Um herauszufinden, ob dein Blatt gut aussieht, solltest du dich Folgendes fragen:
„Wenn ich mit seinem Open mitgehe und ein standardmäßiges, jedoch starkes Blatt floppe, wie Top Pair oder Overpair, werde ich dann wohl sehr oft das beste Blatt haben, mit dem ich einen hohen Gewinnwert (Value) herausschlagen kann?“
Wenn die Antwort auf diese Frage „Nein“ lautet, ist die Range des Gegenspielers wahrscheinlich zu tight, um mit unserer ordentlichen aber keinesfalls großartigen Starthand weiterzuspielen – zumindest nicht aus dem Grund, dass unser Blatt gut genug aussieht.
Stell dir einmal vor, du siehst dich in einem 6-Max Cash Game auf dem CO mit AJo auf der Hand mit dem Open-Raise auf 3 BB des Spielers UTG konfrontiert. Dieser hat bis jetzt sehr tight und solide gespielt. Hier ist unsere Blattstärke, für sich alleine betrachtet, in Ordnung, doch im Vergleich mit seiner Range ist sie schlecht. Wir würden die oben genannte Frage daher nicht unbedingt mit „Ja“ beantworten.
Wenn der Flop Axx bringt und wir das Top-Paar treffen, stoßen wir damit sehr viel öfter auf [AQ-AK], als uns lieb ist. Besteht der Flop aus Jxx, so gibt es 18 mögliche Starthände in der Range [QQ-AA], die uns Sorge bereiten. Hinzu kommen all die Male, wo wir auf dem Flop nichts treffen und wo die Kombination aus Gewinnaussichten (Equity) und Wahrscheinlichkeit eines Folds (Fold Equity) nicht gegeben ist, die jedoch nötig ist, um gegen eine C-Bet weiterzuspielen. Unser Gegenspieler hat mit seiner wahrscheinlichen Range gegenüber unserer einen so bequemen Vorsprung, dass unser Blatt in dieser Situation selten gut aussieht. Es gibt einen weiteren Grund, um mit einigen spekulativen Blättern – jedoch nicht mit solchen wie AJo – in diesem Szenario mit einem Raise mitzugehen (flat calling).
Grund 2 – Implied Odds
Nicht nur, dass unser Blatt AJo in dem oben genannten Beispiel nicht gut aussah, es bot auch praktisch keine Aussicht auf Verbesserung. Dieses Blatt ist in erster Linie deshalb so hoffnungslos, weil das eine Paar, das man damit regelmäßig floppt, zu oft dominiert wird. Wir müssten also halbwegs regelmäßig etwas Besseres als ein Paar damit treffen, damit ein Call lohnenswert ist. Ein Blatt in der Art von AJo ist dieser Aufgabe einfach nicht gewachsen. Man floppt damit fast nie etwas Besseres als ein Paar, und wenn doch, ist man damit immer noch nicht ganz sicher davor, von den hohen Karten einer tighten Range dominiert zu werden.
Blätter, die besser dafür geeignet sind, damit etwas zu floppen, womit man besser als das Top Pair mit Top Kicker oder das hohe Overpair des Gegenspielers dasteht, sind solche mit Implied Odds. Das bedeutet Folgendes: Das Geld, das du in den Situationen verlierst, in denen du mit einem Open mitgehst, auf dem Flop nichts triffst und schließlich den Pot verlierst, wird vielleicht mehr als wieder ausgeglichen durch die halbwegs regelmäßigen Gelegenheiten, bei denen du auf dem Flop etwas Großes damit triffst und einen riesigen Pot gewinnst.
Zu dieser Kategorie gehören beispielsweise Starthände wie 44, ein Paar, das sich zu einem gut getarnten, jedoch höchst gefährlichen Set verbessern kann, außerdem 87s, womit dir viele Möglichkeiten gegeben sind, um im Laufe der Hand ein Paar zu schlagen, und A5s, das für deine Gegenspieler die latente Gefahr darstellt, mit einem Flush gegen einen Flush zu verlieren. Diese Blätter sind keinesfalls in allen Situationen für einen Call eines Opens geeignet. Jedoch musst du damit nicht der Opening Range deines Gegenspielers voraus sein, damit sich ein Call für dich lohnt. Mit diesen Blättern holst du deshalb wieder auf, weil du damit gelegentlich auch einen sehr ansehnlichen Pot gewinnst.
Implied odds sollten von dir keinesfalls als eine Gelegenheit angesehen werden, sondern stattdessen als ein Gewinnverhältnis. Genauer gesagt, die Implied Odds sind dann gut, wenn sie das Verhältnis einer geringen Investition und einem hohen durchschnittlichen Gewinn bieten, vorausgesetzt, dass wir damit ein superstarkes Blatt treffen. Einige Anfänger werden ohne zu zögern mit 55 mit einer extrem hohen 3-Bet mitgehen, in der Hoffnung, ihrem Gegenspieler seinen Chipstack abzunehmen, nachdem die dritte schwer zu ergatternde Fünf auf dem Flop erscheint.
Das Problem dabei ist, dass eine 3-Bet auf beispielsweise 14 BB einfach viel zu hoch ist für einen Call mit der möglichen Aussicht auf einen Drilling (Set Mining). Die Gelegenheiten, bei denen wir das Set treffen und im Durchschnitt einen hohen Anteil des gegnerischen Chipstacks gewinnen, kompensieren noch lange nicht die Male, wo wir nicht treffen und eine beträchtliche Preflop-Investition verlieren. Für einen Call mit einem solchen „Implied Odds“-Blatt benötigen wir ein günstiges Verhältnis von Preflop-Investition und durchschnittlichem Gewinn. Eine gute Regel ist die folgende:
Wir können Set Mining mit einem Pocket-Paar dann in Angriff nehmen, wenn wir davon ausgehen, dass wir bei einem gefloppten Set im Durchschnitt das Zehnfache unserer Investition zurückkriegen.
Das hat den Grund, dass wir im Durchschnitt ungefähr in einem von zehn Fällen ein Set floppen. Mit Blättern wie „suited Connectors“ oder einem „suited Wheel-Ace“ muss das Verhältnis von Risiko und Gewinn sogar noch höher sein, da diese seltener ein Paar schlagen, als es ein kleines Pocket-Paar machen würde. Die folgenden Faktoren verbessern deine Implied Odds und erhöhen den EV solcher Calls eines Opens, die du aus dem zweiten oben genannten Grund machst.
Die Range des Villains ist sehr tight, das heißt, er hat sehr oft ein starkes Blatt, mit dem er uns einen Gewinn beschert.
Der Villain ist ein schlechter Spieler, der wahrscheinlich zu viel blufft oder nach dem Flop zu viele Calls macht (also mit einer zu weiten Bandbreite an Starthänden).
Die möglicherweise zu gewinnende Menge an Chips bzw. Geld (der „effective Stack“) ist höher als normalerweise.
Wir haben den Positionsvorteil, was es einfacher macht, nach dem Flop für einen höheren Gewinnwert (Value) zu sorgen.
Grund 3 – die Pot Odds im Big Blind
Im Big Blind zu sitzen erhöht unsere Pot Odds gewaltig. Wenn es einen Raise vom CO auf 2,5 BB gab, kostet uns ein Call nur 1,5 BB – im Vergleich zu 2,5 BB für den Spieler auf dem BU. Wir sollten uns diesen günstigeren Call regelmäßig zu Nutze machen, und zwar selbst mit solchen Blättern, die sich nicht für einen Call aus einem der ersten beiden oben genannten Gründe qualifizieren.
Wenn wir unser Blatt im Big Blind niederlegen, ist unser EV für diese Hand -1 BB pro Hand. Viele der Hände, bei denen wir in dieser Position mit einem Open-Raise in geringer Höhe mitgehen, werden uns immer noch Geld kosten. Doch sie werden uns im Durchschnitt weniger kosten, als ein Fold es getan hätte. Der EV dieser Blätter könnte bei einem Call bei etwa -0.86 BB liegen, was eine deutliche Verbesserung darstellt.
Nehmen wir beispielsweise an, wir haben 98o und gehen mit dem niedrigen Open-Raise vom Spieler im CO mit. Unser Blatt sieht im Vergleich mit seiner Range keinesfalls gut aus. Auch haben wir mit einem mittelmäßigen Off-Suit Connector ohne Positionsvorteil keine besonders guten Implied Odds (wenngleich diese bis zu einem gewissen Grad vorhanden sind). Der Punkt ist jedoch, dass ein Call für uns so günstig ist, dass er auch dann profitabler als ein Fold ist, wenn es nach dem Flop nicht sehr gut für uns läuft. Anders ausgedrückt, wir kommen damit vielleicht nicht sehr weit, aber das müssen wir zum Glück auch nicht.
Im Big Blind mit einem Open-Raise mitzugehen hat zudem den Vorteil, dass wir als Letzter am Zug sind. Es kann uns also niemand mit einer weiteren Erhöhung aus dem Pot treiben (Squeeze Play) und es kann auch keine weiteren Calls nach uns geben. Aus diesen Gründen ist es nicht annähernd so profitabel, vom Small Blind aus auf Verteidigung zu spielen und mit Open-Raises mitzugehen. Hinzu kommt, dass unsere Pot Odds im Big Blind schlechter sind, weil unser erster Pflichteinsatz geringer ist und der Preis für einen Call des Open-Raises somit höher ausfällt.
Kommen wir zu guter Letzt zu der folgenden exzellenten Situation: Wenn wir es im Big Blind und in Position mit einem eher kleinen Raise zu tun haben, sollten wir mit einer sehr weiten Bandbreite mitgehen. Ein solches Szenario tritt auf, wenn es zu einem Duell der Blinds kommt. Gegen ein Open-Raise auf 2,5 BB ist es auch mit einigen äußerst spekulativen Starthänden sinnvoll, weiter im Pot zu bleiben.
Die Kombination aus Pot Odds und Position stellt einen derart hohen Anreiz dar, dass dies eine seltene Gelegenheit ist, um auch mit Blättern wie Q5s und 86o den Flop zu sehen. Um es noch einmal deutlich zu machen: Ein Call wird dir in diesen Situationen nicht unbedingt Geld einbringen, doch wird er dich langfristig weniger kosten als ein Fold. Oder anders ausgedrückt, du hast einen besseren EV mit einem Call als mit einem Fold.
Abschließende Gedanken
Widerstehe der Versuchung, mit zu vielen Starthänden mitzugehen, wenn keiner der drei genannten Gründe gegeben ist. Nur weil du ein Blatt spielen würdest, wenn alle vor dir passen, ist es noch lange kein Blatt, mit dem du auch nach einem Raise noch weiterspielen solltest. Im Laufe der Zeit wirst du dein Spiel voraussichtlich tighter gestalten und fragwürdige Calls vermeiden. Pass jedoch auf, dass du im Big Blind nicht zu tight wirst, da es dann die lohnendsten Pot Odds gibt.